Die Wunder von Charlottenburg

In Charlottenburg kann man immer noch seine blauen Wunder erleben: in so manchem Geschäft, mancher Kneipen und so manchem Hotel wohnt ein Geheimnis. Doch das größte Geheimnis steckt in dem unergründlichen Lächeln der freundlichen Bewohner.

 

Die Geburt der Currywurst

Eigentlich standen im Jahre 1954 aus ganz anderen Gründen überall Kerzen in den Fenstern: Die Berliner wollten das Gedenken an die Brüder und Schwestern im Osten aufrecht erhalten.

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Doch so geschah es: Drei Heilige machten sich auf dem Weg und brachten als Gaben exotische Gewürze und Spezereien mit: Weihrauch, Ketchup und Curry. Möglicherweise hatten sie da etwas falsch verstanden: Wenn in jenen Zeiten immer wieder von einem „Wunder“ gesprochen wurden, war damit nur das „Wirtschaftswunder“ gemeint, und wenn jemand sagte „Es geht um die Wurst“, war nicht unbedingt die Currywurst gemeint.

Und so erfüllte sich, was nirgendwo geschrieben stand: Die Currywurst wurde geboren – und Charlottenburg hatte ein neues Wahrzeichen.

 

Lasst Blumen sprechen

Das sagte schon meine Mutter gerne, doch man darf nicht zu viel erwarten: Was sollen sie schon sagen? Blumen sind nicht besser als Papageien; sie können auch nur nachplappern, was man ihnen vorgesagt hat. In den meisten Fällen bleibt die Kommunikation einseitig: Die liebevolle Hausfrau spricht zwar mit ihren Blumen, doch sie antworten nicht, das schaffen sie nicht, sie verwelken viel zu schnell, da bleibt ihnen keine Zeit, auch nur die einfachsten Sprachkenntnisse zu erwerben.

Zum Glück gibt es künstliche Blumen, die – wie jeder weiß – nicht verwelken. Doch deshalb können sie noch lange nicht sprechen, sie haben allerdings bessere Voraussetzungen, etwas zu lernen. Sie haben Zeit. Die brauchen sie auch. Drei bis vier Monate muss man rechnen – mindestens -, so lange dauert es, ihnen einfache, zweisilbige Wörter beizubringen.

Sie sind allerdings sehr anspruchsvoll: Sie mögen gerne die Gesellschaft von künstlichen Haustieren, sie brauchen jeden Tag mindestens einen halben Liter trockenen Weißwein, und sie wollen sehr, sehr viel Zuwendung – sonst sagen sie gar nichts. Auch nicht nach Jahren. 

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Das Auge riecht mit

Wie ein unsichtbares Kleid umgibt uns unser körpereigner Duft – oder ein aufgetragener Duft eines erlesenen Parfums, das sich auf jeder Haut anders entfaltet und sich auch je nach Laune ändert. Dieser individuelle Duft, der uns umhüllt, ist aber nicht wirklich unsichtbar, für die meisten ahnungslosen Betrachter ist er das schon, doch besonders empfindliche Menschen können den Duft, der sich wie ein Flimmern und Flirren um den Körper bildet, tatsächlich sehen; es gibt ja auch Heilige, die den Astralleib eines Menschen erkennen können. Doch – wie schon gesagt – man sieht diesen Duft nicht immer, und es erkennt ihn auch nicht jeder.

Es ist wie in dem alten Kinderspiel: „Ich sehe was, was du nicht siehst!“ Die einen sehen was, die anderen nicht. Nun hat man es mit neuer Technik geschafft, den Duft wenigstens auf Fotos sichtbar zu machen. Es gibt nun Betrachter (ich zähle mich auch dazu), die zwar den Duft auf dem Foto erkennen, aber im wirklichen Leben genauso blind sind wie zuvor. Obendrein gibt es dermaßen abgestumpfte und desensibilisierte Leute, die selbst auf so einem Foto keinen Duft erkennen. 

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Die Nebenwirkung der Zeitumstellung

In der Nachkriegszeit hat man aus verständlichen Gründen in Charlottenburg ein einzigartiges Experiment gemacht: Man hat die Uhren zurück gedreht. So wie ungeduldige Kinder vor Weihnachten die Uhren vorstellen – in der Hoffnung, dass damit die Zeit schneller vergeht, so sollten in diesem Fall die Uhren zurück gestellt werden, um die schlechte Zeit wieder rückgängig zu machen; die unglückliche Lebenszeit sollte verstellt werden, als hätte es sie nicht gegeben.

Dazu mussten möglichst alle Uhren an zentraler Stelle gesammelt werden und gleichzeitig zurück gedreht werden. Doch so gut die Aktion auch gemeint war, das Experiment ist nur teilweise gelungen. Man sieht es heute noch. An manchen Stellen im Stadtteil ist die Zeit offensichtlich stehen geblieben oder sogar erfolgreich zurück gedreht worden, an anderen Stellen merkt man keinerlei Nachwirkungen der historischen Zeitumstellung.

Als unerwartete Nebenwirkung hat sich ein Schwarzmarkt herausgebildet, auf dem einem verloren geglaubte Lebensaugenblicke gegen Bargeld angedreht werden sollen. Allerdings wird vor dem illegalen Erwerb nicht lizenzierter Zeiteinheiten gewarnt. 

 

Die Liebe der Elefanten

Als Kind habe ich mir immer gewünscht, ich hätte dabei sein dürfen, als die Redensart entstand: „Du benimmst dich wie ein Elefant im Porzellanladen“. Wie gerne hätte ich das mit eigenen Augen gesehen. Doch damals wusste ich noch nichts vom Liebesschmerz und von der Kunst der Sehnsucht.

Wir lieben nämlich immer das, was wir nicht mehr haben – was wir womöglich sogar selbst zerbrochen haben, „you don’t know what you’ve got till it’s gone“. Die schönste Tasse im Schrank ist die, die wir ausmustern mussten, weil sie einen Sprung hat. Es ist wahrlich nur ein schwacher Trost, aber es ist nun mal eine Tatsache, dass gerade die Frauen, die von ihren Männern verstoßen wurden, von denen wenig später besonders heiß und reumütig geliebt werden.

Porzellan war immer schon ein Sinnbild für die Irrtümer unserer Liebe: Es geht viel zu schnell zu Bruch. Es gibt sogar Porzellan, das allein vom Angucken kaputt geht.

Es darf einen also nicht wundern, wenn man in einem Fachgeschäft nicht nur den hinlänglich bekannten Hinweis „Bitte, nicht berühren“ sieht, sondern auch die Bitte: „Nicht zu lange hingucken!“

 

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Hotel der Berühmtheiten

Viele Hotels werben damit, dass schon Johann Wolfgang Goethe da übernachtet hat, noch mehr können mit dem berühmten Touristen Wolfgang Amadeus Mozart werben. Für viele Gäste ist es ein besonderer Reiz, in einem solchen Hotel zu schlafen, als hätte sich der Genius erhalten, als könnte sie in der Nacht dieselbe Muse noch einmal küssen.

Doch seien wir ehrlich: Vielen Gästen geht es nicht so sehr um die Kunst, sondern vielmehr um das Berühmtsein, das damit verbunden ist. Da ist dieses unauffällige „Hotel der Berühmtheiten“ ideal, da ist es so: Da schläft man nicht etwa in einem Bett, in dem schon mal eine Berühmtheit geschlafen hat – Nein, anders: Da schläft man, und wenn man am Morgen aufwacht, ist man selber berühmt.

 

 

 

 

 

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