Michael Schulte

 

Michael Schulte

„Ich freu mich schon auf die Hölle“

 

 

Michael Schulte ist am 20. Juni 2019 gestorben. In der „Zeit“ stand einst: „Über Michael Schulte brauchen wir nicht lange zu reden, ihn kennt jeder.“ Das stimmt nicht. Zwar hatte Michael Schulte zeitweise eine gewisse Bekanntheit, ich bin keinesfalls der einzige seiner hartnäckigen Leser – mir fallen aus alten Tagen noch Thommie Bayer und Thomas C. Breuer ein. Doch wir waren eine verschworene Minderheit. Wir fühlten uns wie Insider, die Zugang zu Geheimwissen hatten.

Michael Schulte war einer unserer lebenden Helden aus der Welt der Literatur, wie auch der (ebenfalls wegen seinem Humor unterschätze) Kurt Vonnegut, den Michael Schulte übersetzt hat. Das hat auch Harry Rowohlt getan. Beide waren nicht nur Vonnegut-Übersetzer, sie waren obendrein Vonnegut-Versteher, ja, sogar Vonnegut-Botschafter, und beide gehörten selber – wenn schon nicht zu den Schwergewichten so doch – zu den Mittelgewichten des Großen Humors.

 

„Der Humorist geht gleich dem Raubtier stets allein“

Was meine ich damit? Ich meine einen herzlichen Humor, der die Welt aus den Angeln hebt und uns einen Augenblick lang das Gefühl gibt, dass wir jederzeit auf Neustart gehen, noch einmal von vorne anfangen können – und dass alles auch ganz anders sein könnte. Es ist nicht nur irgendetwas falsch an den Zeitumständen, es ist eigentlich alles falsch. Die Welt passt nicht zu einem Humoristen, der – wie Sören Kierkegaard sagt – „stets allein geht“.

„Ein einsamer Cowboy, der durch Texas ritt und so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt war, dass er nicht auf den Weg achtete, fand sich plötzlich in einem Film wieder. Er blickte von der Leinwand in einen dicht besetzten Kinosaal. Offenbar handelte es sich um eine Pressevorführung, denn später sah er, wie ein Kritiker der New York Times folgende Bemerkung in seinen Notizblock schrieb: ‚Völlig unmotivierte Einführung einer neuen Hauptfigur.’“

Toll. Wir haben seine Bücher nicht nur bewundert, wir haben sie gern gehabt. Sie waren voller Übermut und Leichtsinn, sie machten Laune und ließen einen mit einem guten Gefühl zurück. Als wäre man frisch gebadet und könnte über den Zustand der Welt nur noch den Kopf schütteln. Seine Komik war eine Trumpfkarte, mit der man jede Bitterkeit ausstechen konnte. In der ‚Stuttgarter Zeitung‘ hieß es, dass man in den Büchern – es war sogar von einem „Schulte-Virus“ die Rede – „dem Glück begegnen“ könne.

„Ich will reich werden, möge es kosten, was es wolle. In Finnland bezahlt die Regierung, habe ich gehört, für jeden erlegten Wolf eine Prämie von ungerechnet 500 DM. Das wäre etwas – nach Finnland ziehen und heimlich eine Wolfszucht betreiben. Klein anfangen, an jedem Ersten im Monat seinen Wolf schießen und bei den entsprechenden Behörden abliefern. An Ideen mangelt es nicht …“ 

 

Nur Spaß ist mehr als nur Spaß

In der Tat: An Ideen mangelte es nicht, Michael Schulte war ein Ideen-Künstler, der stets einen unerwünschten Tipp auf Lager hatte. So schlägt er beispielsweise einen Preis für die originellste kriminelle Handlung vor: das „Goldene Gitter“. Oder er schlägt Briefmarken vor, die Prominente von der menschlichen Seite zeigen – Anregung: der Bundespräsident auf einem Gartenfest, wo er sich versehentlich die Hosen mit Rotwein bekleckert.

Elvis – jetzt kommt’s raus – hatte eine Tätowierung auf dem Bauch mit der Inschrift NEUSCHWANSTEIN, und nach seinem Tod kommt Elvis auf die Insel der Totgesagten, wo er den leicht vergreisten Adolf Hitler trifft, der ihn versehentlich mit „Erwin“ anredet.

Witzig? Ich finde ja. Oder wie wäre es damit? Eine historische Tragödie, 1. Akt in der Kapitänskajüte der Santa Maria. Der Offizier kommt erregt durch die Tür und meldet, dass die Mannschaft meutert. Kolumbus schlägt vor, der Offizier solle der Mannschaft doppelten Sold versprechen. Der Offizier sagt: „Okay!“ Kolumbus verwirrt: „Was?“

Auf dem Umschlag von dem Buch Stiefmuttertag wird extra gewarnt: „Ein schreckliches Buch. Es enthält garantiert keine Aussage. Es macht nur Spaß. Sonst nichts.“ Aber „nur Spaß“ ist eben mehr als einfach nur Spaß.

 

Die Spaßvögel sind tot

Mit ihm – so kommt es mir jedenfalls vor – ist zugleich eine Epoche zu Ende gegangen, in der die Humoristen noch frech wie Oskar waren. Heute ist uns der Spaß vergangen, den Comedians wurde schon an anderer Stelle ein Nachruf geschrieben, in den USA meiden die Spaßvögel die Universitäten, es ist für sie in Zeiten von political correctness zu gefährlich geworden. Sie halten lieber den Schnabel.

Da wir gerade von Vögeln reden: Im Englischen werden Komödianten und Narren gerne als canary in the coalmine bezeichnet. Kanarienvögel wurden früher mit in die Minen genommen, wenn sie tot umfielen, war es ein Alarmzeichen; es bedeutete, dass giftige Gase aufgetreten waren und die Arbeiter sofort an die frische Luft mussten. Die Vögel waren ein lebendes Frühwarnsystem. Erst starb der Vogel, dann der Arbeiter. Das gilt nicht nur für Bergmänner. Der Tod der Spaßvögel sagt etwas über den Zustand der Gesellschaft.

John Cleese von Monty Python oder Harald Schmidt klagen ohne jedes Augenzwinkern, dass sie es heute nicht mehr wagen würden, Scherze zu reißen, die sie früher noch problemlos machen konnten. Auch Michael Schulte gehört noch in die Zeit vor dem Euro, vor amazon und vor kindle – er gehört in eine Zeit, als ein Sternchen* noch auf eine Fußnote hingewiesen hat und nicht auf die Selbstdarstellung von Wichtigtuern, die zu den Sternen der moralischen Überheblichkeit greifen und mit ihren vorgetäuschten Empörungen und vorschnellen Verurteilungen die Luft verpesten und das Humor-Klima vergiften.

 

Die Entdeckung des Tiefsinns im Blödsinn

Michale Schulte, geboren 1941, war der schlechteste Mathematikschüler Bayers. Soviel ist sicher. Auf einer Liste im Kultusministerium in München rangierte die Schule, auf die der kleine Michael ging, an letzter Stelle und er war der Letzte in seiner Klasse. Er war ein schwieriger Schüler. Als er gefragt wurde, was er werden wollte, antwortete er: Cowboy. Ungewöhnlich für einen Bayern. Später ist er tatsächlich nach Amerika gegangen.

Man darf die frühen Einflüsse keinesfalls unterschätzen. Als Kind hatte ihn der geheimnisvolle Kindervers stark beeindruckt, der da lautet: „Der Elefant von Celebes/ hat hinten etwas Gelebes/ Der Elefant von Borneo/ der hat dasselbe vorneo“ – es hat ihn nicht mehr losgelassen. Er konnte nicht anders. Er musste eines Tages – Jahre später – nach Borneo und Celebes reisen und ein Buch darüber schreiben: Bambus Coca-Cola Bambus.

Als er einen Plattenspieler geschenkt kriegte, in der Absicht, ihn zur klassischen Musik zu führen, hört er sich Platten von Karl Valentin an. Seine Eltern konnten nicht ahnen, dass sich damit sein Schicksal vorzeichnete, sie lachten darüber, dass er lachte. Valentin selber fanden sie nicht komisch, sie fanden es nur komisch, dass ihr kleiner Michael diesen Valentin so komisch fand. Er selber sagt über die damalige Zeit: „Der Tiefsinn im Blödsinn war unbekannt, man hielt sich gnadenlos an den Blödsinn des Tiefsinns.“

Als er in Göttingen studierte, ging er in eine Buchhandlung, um endlich eine Karl-Valentin-Biografie zu erwerben. „Die gibt es nicht“, wurde ihm gesagt. „Macht nichts“, sagte er, „dann schreibe ich sie mir selbst“. Er bot den Plan dem Rowohlt-Verlag an und verliebte sich gleichzeitig in eine Buchhändlerin mit Brille, weil er Brillenfetischist war.

Das wusste sie aber nicht. Als sie zu ihm nach Hause kam, hatte sie sich zur Feier des Tages Kontaktlinsen gekauft. Es war sein Katastrophentag, schon am Vormittag des Tages hatte er eine Absage vom Rowohlt-Verlag erhalten. Drei Wochen später kriegte er wieder Post. Rowohlt hatte sich das anders überlegt, sie wollten nun doch, dass er sich an die Arbeit macht. Michael kam sich vor, als hätte er den Nobelpreis gewonnen, er rief die Buchhändlerin ohne Brille an und kaufte Sekt. Aber sie enttäuschte ihn. Sie war nicht beeindruckt. Sie hatte im Lexikon nachgeguckt und festgestellt, dass Karl Valentin nicht einmal im Lexikon verzeichnet war. „Dann ist eben das Lexikon Scheiße“, brüllte er.

Eine Welt, in der Karl Valentin keinen Ehrenplatz hatte, war nicht die richtige Welt. Also musste er ran. Christof Stählin – über den es hier ein kleines Porträt gibt – war sogar der Meinung, dass Valentin eine größere Bedeutung hätte als Brecht (aber das hatte er nur so dahingesagt und hing mit seiner Geringschätzung von Brecht zusammen, der seinerseits Valentin schätze), doch die Valentin-Verehrer waren damals tatsächlich noch gewisse Ausnahmeerscheinungen.

Nun googeln Sie mal: Wenn Sie nach „Michael Schulte“ suchen, drängelt sich sofort der Schlagersänger gleichen Namens vor, doch wenn sie den Suchbefehl „Michael Schulte Valentin“ eingeben, sehen Sie, dass der Humor von Künstlern, die in keine Schublade passen, nicht totzukriegen ist. Auch nicht in einer Zeit, in der die Kanarienvögel tot umfallen.

 

Die richtige Frau zur richtigen Zeit

Ich kannte ein paar Bücher von Michael Schulte und hatte ihn schon angeschrieben. Ich glaube, ich hatte auch eine Postkarte von ihm. Mehr nicht. Eines Tages klingelte das Telefon – Es war nicht „eines Tages“, es war genau gesagt Silvester, ich lebte damals in Hamburg. „Hier ist Michael Schulte“, hieß es am anderen Ende der Leitung, „ich bin gerade in Hamburg und telefoniere mein Adressenverzeichnis durch und bin beim Buchstaben L. Wenn du zufällig gerade eine Party hast, dann würde ich kommen.“ Ich hatte zufällig gerade eine Party. So lernten wir uns kennen. Michael wollte bei der Gelegenheit wissen, ob ich zufällig auch noch eine Freundin für ihn hätte.

Das war nicht nötig. Michael hatte Glück bei Frauen (abgesehen von seiner ersten Ehefrau, einer Amerikanerin, die ihn um „Hab, Gut und Geld“ brachte). Besonders mit einer Frau hatte er richtig Glück. Bei seinen Plänen mit Karl Valentin stieß er überall auf Hindernisse und kam nicht an das Material heran. Keiner, der etwas von Valentin hatte, wollte ihm das zur Verfügung stellen, alle wollten das selber ausschlachten. In seiner Verzweiflung rief er die Tochter von Karl Valentin an, die noch lebte. Er konnte sie begeistern – und sie gab ihm alles.

Auch mit Freunden hatte er Glück. Im „Froschkönig“ und im „Diener“ arrangierte er Treffen, zu denen einige Freunde extra von weit her nach Berlin anreisten. Er war auch mit toten Literaten befreundet und fragte in die Runde, welchen Schriftsteller man gerne zu Lebzeiten getroffen hätte, um womöglich mit ihm befreundet zu sein. Ich hatte mich spontan für Mark Twain entschieden. Er selber für Jean Paul, der bekanntlich ein Buch als „langen Brief an Freunde“ bezeichnet hat.

Wie mit Frauen, so auch mit Freunden. Michael hatte nicht nur Glück. In seinem wohl persönlichsten Buch Ich freu mich schon auf die Hölle erwähnt er seinen „besten Freund, der sich erhängt hat, wofür ich ihn heute noch umbringen könnte.“

 

Und hier noch von Ludwig Lugmeier ein …

Nachruf auf Michael Schulte

„Ich freu mich schon auf die Hölle“ – vor 14 Jahren brachte der Picus Verlag dieses autobiographische Buch auf den Markt, schön aufgemacht, ordentlich lektoriert, auf dem Cover ein anfangs der 50er Jahre geschossenes Foto: Familienbild mit Michael Schulte, einem blonden, schmalbrüstigen Jungen in gestreifter bis zum Nabel hochgezogener Wollbadehose. Mit 78 Jahren, am 20. Juni nachmittags 4 Uhr, ist er schließlich zur Hölle gefahren. Ich ruf ihm ein Farewell hinterher und: Sei so gut alter Freund, beleg für mich einen Platz, nicht zu nahe am Feuer, sonst verkohlt mir der Bauch, nicht zu fern, sonst vereist mir der Arsch, und so, bitteschön, dass ich die Beine ausstrecken kann. Die Ewigkeit zieht sich ja hin, aber, dessen warst Du Dir schon zu Lebzeiten gewiss, für unsereins in höllisch guter Gesellschaft. Die mit angefaulter Zunge im Maul: alle droben im Himmel – dem Teufel sei Dank! Im tiefsten Höllengrunde dagegen die pataphysische Zunft. Da hockt das Gespenst der Freiheit Luis Buñuel auf den Schultern. Da jagt Max Ernst die Welt in die Luft, denn auf den Kopf stellen lässt sie sich nicht, da sie keinen besitzt. Da zertrampelt Jean Genet seinen Heiligenschein, und der heiligen Musik sägt John Cage die Stimmbänder durch. Du kennst ihn ja aus New York. Und Marcel Duchamp und Man Ray und Eugène Iosnesco und Chico, Harpo, Gummo, Groucho und Zeppo – nun, die waren wiederum bei Dir zu Besuch, da oben an der dänischen Grenze, als Grenzgänger, als sprechende Schatten. Hoffentlich, Michael, hoffentlich wird’s nicht zu eng in der Hölle. Und hoffentlich hat Alfred Jarry seinen König Ubu einzuschleusen verstanden. Von Rechts wegen gehört der Drecksack zwar in den Himmel, zu den Königen und Kardinälen, zu den Pfaffen und Henkern, aber – Merdre und Schoiße! –, Alfred Jarry hat ihn schließlich mit seinem Odem belebt. Er würde uns fehlen, und zwar ganz gewaltig. Wenn er aber dort ist, wenn er sich im Kotkessel suhlt, wenn er säuft, frisst und ratzt, wenn er schnarcht, furzt und neben den Speibeutel kotzt, dann machen wir uns endlich her über die Komödie, die wir uns ausgedacht haben, da oben bei Dir, hinterm Haus auf der Helle im winddurchpfiffenen Garten: Die schröckliche Geschichte von König Ubus rotzgrünen Söhnen. 

 

 

Comments are closed.