Land mit lila Kühen

In dem Buch finden wir die Geschichte vom Märtyrertor. Eine Geschichte aus der Zeit von Not und Pest. Auch aus der Zeit von Corona?

Hier stelle ich das Buch in einemm kurzem Video vor:


Es war mein erster Roman, der im Diogenes-Verlag erschienen ist und nun noch einmal neu, diesmal mit Zeichnungen von Uli Gleis. Man merkt, dass ich noch jung und unbefangen bin. 

In der Rahmenhandlung wird eine Reise durch Deutschland unternommen, durch die BRD, besser gesagt, denn Deutschland ist noch geteilt. Man merkt auch deutlich die Stimmung der achtziger Jahre. Aber die wüsten Geschichten, die sich im Kopf des Reisenden abspielen, sind zeitlos und gehen an das Eingemachte: an die Träume und Ängste.

 

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Ein Kritiker hatte bemängelt, dass so etwas kein Roman sei, sondern lediglich eine Aneinanderreihung von wüsten Geschichten. Ja. Schon. Aber die gehören zusammen und ergeben ein Ganzes. 

Die Vorbilder waren für mich Die gelben Männer von Urs Widmer, Frühstück für starke Männer von Kurt Vonnegut und Tante Julia und der Kunstschreiber von Mario Vargas Llossa. Da ist es auch so. So ähnlich jedenfalls.

Ich habe damals die modernste Technik genutzt, die mir zur Verfügung stand: eine IBM Kugelkopfmaschine mit zwei auswechselbaren Schriftköpfen. Und mit Korrekturband.

Mit dem Courier-Kopf habe ich die Rahmenhandlung beschrieben: eine Reise durch das Land mit den lila Kühen von einem, der günstig mit einem Tramper-Monatsticket reist.

 

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In den Gesprächen im Zugabteil geht es noch um solche Fragen wie die, ob die DDR zu Deutschland gehört und ob es die Götter extra so eingerichtet haben, dass die Liebenden ein paar Stationen voneinander entfernt leben.

Leider, leider, leider muss der Reisende beobachten, wie die Städte immer gesichtsloser und verwechselbarer werden als würden sie völlig hinter den Werbeplakaten verschwinden. Schlimm genug.

 

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Mit dem Italic-Kopf habe ich dann zehn Geschichten als Kommentare eingeschoben, als hätte der liebe Leser – und unser Reisende – ein Kino im Kopf.

 

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Da geht es um Entdecker, die im Weltall herumfliegen und das Echte nicht mehr vom Surrogat unterscheiden können, um einen Liebhaber, der sich eine ideale Frau aus verschiedenen Einzelteilen zusammenbaut.

 

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Es geht um einen Trickbetrüger, der den Zufall verkaufen will und um die Verfilmung einer Liebesgeschichte, bei der die Liebenden durch Doppelgänger ersetzt sind.

Da wird von einem Ludel-Dichter berichtet, der unverstanden bleiben will, aber gerade deshalb zu einer Kultfigur wird.

 

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Es gibt eine einmalige Hamlet-Ausführung, bei der zum Schluss der Theaterkritiker dran glauben muss.

 

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Es geht um einen einsamen Mann, der die Götter herausfordert, weil er alle schöne Frauen küssen will; es geht um zwei Computer, die sich bekämpfen, um die Rache der Gummistiefelmörder und um weitere fantastische Geschichten – auch alles schlimm genug irgendwie, aber da hat das Schrieben noch richtig Spaß gemacht.

 

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Man merkt aber schon, dass da immer wieder ein Gefühl von Heimatlosigkeit durchschimmert, dass es um den Verlust von etwas geht, das man als „echt“ bezeichnen möchte.

 

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Das Buch stammt schließlich aus der Zeit, als sich das Wort wie ein Virus verbreitete und man das Gefühl hatte, man müsse es mit „ä“ schreiben (wie in „Ätsch Bätsch“) und ein Fragezeichen anhängen: ächt?

 

Ja!

 

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Hier noch ein kleiner Ausschnitt

 

„Ich will dir mal eine Geschichte erzählen“, sagte der Mann, obwohl er gar nicht wußte, ob er das gut konnte, aber das war eine gute Gelegenheit, also los:

„Es war einmal ein Planet, auf dem hatten die Götter alles wunderbar fertig aufgebaut. Schöne Häuser; grüne Wiesen, über die wilde Pferde hinweggaloppierten; große Flüsse. Alles war fertig, sogar den Fahrplan für die Zugverbindungen hatten die Götter schon ausklamüsert. Alles war schön geworden, und auf jedem Baum, auf jeder Blume, überall stand das Zeichen: Copyright by the Gods. Nur die Menschen waren noch nicht fertig. Die lagen zwar alle schon vorbereitet in Kühlboxen und konnten jederzeit aufgetaut werden, doch denen fehlte noch die Programmschaltung für Liebe, und da konnten sich die Götter einfach nicht einig werden, nach welchem Programm sich die Menschen lieben sollten. Der eine Gott wollte, dass immer je zwei Menschen in Liebe zusammenpassen, und wollte dazu ein System einbauen wie bei BKS-Schlüsseln, wo immer nur der richtige Schlüssel ins richtige Schlüsselloch paßt. Andere Götter fanden das langweilig und wollten lieber Kombinationsstecker und Steckdosen, die man beliebig zusammenstecken konnte. Andere Götter fanden es schon mal gar nicht gut, dass immer zwei sich auf Gegenseitigkeit lieben sollten, und machten den Vorschlag, dass immer je sieben Männer ein und dieselbe Frau lieben sollten, damit auch ordentlich was los wäre auf dem Planeten. Ein Gott machte sogar den Vorschlag, dass alle Männer nur eine einzige Frau lieben sollten, und die eine Frau wollte er in der Kühlbox lassen, so dass alle Männer vergeblich lieben würden. Andere Götter waren für mehr Ernsthaftigkeit und brachten ein Weggefährten-Modell in die Debatte, danach sollten sich immer Paare finden gemäß ihrer jeweiligen Arbeit. Andere Götter waren völlig gegen Paare und wollten stattdessen, dass sich die Menschen in lockeren Gruppen zusammentun. Ein Gott wollte sogar alle Menschen auf Einzelwesen programmieren. Kurz, es herrschte keine Einigkeit. Die Götter konnten sich nicht mal darüber einigen, ob es mehr Eifersucht oder mehr Liebe auf dem Planeten geben sollte, ein Gott wollte sogar überhaupt keine Liebe, nur Sehnsucht …“

„Die stimmt aber nicht, die Geschichte“, freute sich die Frau plötzlich.

„Die denke ich mir doch nur aus.“

„Das ja, aber du denkst sie falsch aus.“

„Wieso?“

„Der Planet kann nicht schon ohne Liebe fertig sein. Das geht nicht. Die Welt prägt die Liebe und läßt nicht jede Art von Liebe zu: So wie die Welt ist, so ist auch die Liebe in der Welt. Zum Beispiel hast du gesagt, dass die Häuser schon fertig sind – sind das denn Einfamilienhäuser? Häuser mit Gemeinschaftsräumen? Oder Leuchttürme für Einzelwesen?“

„Ist schwierig“, mußte der Mann zugeben, „stimmt, ist ganz schön schwierig.“

„Ja, es ist schwer.“

Die beiden schwiegen ein bisschen.

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