Auf dem schwarzen Schiff

V. Fragen von Wieland Freund

FRAGE:
Verstehen Sie sich als Aufklärer?

ANTWORT:
Ertappt. Das lässt sich auch kaum verheimlichen. Von 1975 an, als die Vorarbeiten für die Operation Namibia begannen, habe ich in Tübingen für den Club Voltaire, den man gut „Club Rousseau“ hätte nennen können, Festivals organisiert mit Musik und Politik – zum Beispiel gegen die Apartheid. Das war alles sehr vom Geist der Aufklärung angehaucht. Mir selber kommt das schwarze Schiff manchmal vor wie der Club Voltaire Tübingen auf hoher See.

FRAGE:
Ist der Roman ein Stück „Dialektik der Aufklärung“?

ANTWORT:
Ja. Das kann man wohl sagen. Ein Titelvorschlag war deshalb auch „Der Fluch der guten Tat“.

FRAGE:
Sie haben lange am Roman gearbeitet. Was hat das Schreiben so schwierig gemacht?

ANTWORT:
Mir war Afrika fremd und das Segeln. Also musste ich mit Segelschiffen mitfahren und Afrika bereisen. Schwierig war außerdem, dass die Helden noch leben. Nicht etwa dass ich ihnen den Tod wünschte – ganz im Gegenteil: Ich war richtig niedergeschlagen, als Kris starb und ich nun keine Gelegenheit mehr hatte, ihn kennen zu lernen. Aber es ist schon eine Zumutung, wenn ich aus lebenden Menschen Figuren aus einem Buch mache.

FRAGE:
Was wissen Sie genau über den Verbleib der Vorbilder Ihrer Protagonisten? Momo, Rafi, Hans, Roy etc. Wo ist Elise begraben?

ANTWORT:
Niemand weiß, wo Momo geblieben ist – und niemand will es wirklich wissen. Morishta lebt offenbar noch; er wurde zuletzt in Kanada gesehen. Rafi arbeitet als Maler in Kassel. Hans lebt in Berlin und verkauft Freiland-Gemüse. Roy lebt mit Familie in Neuseeland und unterhält einen kleinen Software-Laden. Barry lebt ebenfalls in Neuseeland und betreut Strafgefangene – manchmal ist er auch mit einem Schiff unterwegs.

Kris ist in franz. Guyana gestorben, wo er auf der Golden Harvest, die an Land als eine Art Hotel diente, wohnte und von da aus Projekte zur Rettung des Regenwaldes einfädelte. Die Leiche von Elise ist nach New York überführt und da in der Nähe beigesetzt worden.

FRAGE:
Sie haben mit einigen Mitgliedern der Crew gesprochen, sie kennengelernt. Was ist Ihnen die Zeit auf der Golden Harvest? Trauma? Erinnertes Abenteuer? Schuld? Stolz?

Antwort:
Bei allen (so glaube ich jedenfalls) steht an erster Stelle die Trauer über den Tod von Elise. Vermutlich an letzter Stelle kommt so etwas wie „erinnertes Abenteuer“ oder „Stolz“ – es gibt eher ein Gefühl von Scham. Sie sehen Operation Namibia nicht unbedingt als Erfolg an. Es brechen immer wieder starke Gefühle auf. Nach über zwanzig Jahren gab es immer noch Tränen, als wir Fotos von der Aktion angesehen haben.

Frage:
Wie ist die Operation Namibia historisch/politisch zu verorten? Welche Rolle spielte zum Beispiel die SWAPO tatsächlich. Welche Wellen schlug Operation Namibia diplomatisch?

Antwort:
Immerhin: Die SWAPO stellt mit Sam Nejuma (der im Buch noch in New York lebt und sich mit Fela Kuti heimlich in Ostberlin getroffen hat) den ersten Präsidenten Namibias. Wellen geschlagen hat die Operation Namibia in Deutschland nicht. Schon in adss47_fragender Vorphase, als Hans versuchte, an den Universitäten Unterstützer zu finden, gab es wenig Resonanz. Es war die Zeit der RAF; Afrika war genauso wenig interessant wie Gewaltlosigkeit.

Ich habe auch in den hiesigen Archiven fast nichts gefunden. Es gab nur Berichte in kleinen Blättern wie „peace media“. In England und auch in den USA mag das anders gewesen sein, aber ich fürchte, dass auch da das Interesse schnell verblasste, nachdem die Aktion so einen grandiosen Auftakt hatte, sich dann aber für den ungeduldigen Konsumenten von aktuellen Meldungen viel zu sehr in die Länge zog.

FRAGE:
Wie viel Ihres Romans ist Fiktion? Wie viel „faction“? Wo ist der Roman Protokoll? Wo Tatsachenroman? Wo liegt darin Ihre Phantasie verborgen?

ANTWORT:
Gar nicht sehr verborgen. Der Held träumt viel, er erinnert sich an Deutschland. Da kommt schon viel von mir dazu. Auch durch meine Beobachtungen; denn man sieht ja nicht etwa das, was man weiß, sondern das, was man sehen will.

FRAGE:
Welche Quellen haben Sie verwendet, wessen Quellen?

ANTWORT:
adss48_fragenAm Anfang standen etwa 100 Bilder, die Rafi gemalt hatte, um seine Erlebnisse zu verarbeiten. Dann hat er für mich Kassetten besprochen. Hans hatte Zeitungsartikel aufgehoben, Protokolle und Infos. Ich habe Roy in Neuseeland aufgesucht und dort auch Barry getroffen und – als es eigentlich schon zu spät war – ergreifende Gespräche geführt mit Jude und Peter Ellis, der Fotos und Materialien aus dem Nachlaß von Kris verwahrt.

Ich habe natürlich Bücher gelesen von Nelson Mandela oder Dr. Kwame Nkrumah. Fela Kuti hatte bei einer so genannten Volksuniversität Vorträge gehalten (Daraus habe ich einiges Momo in den Mund gelegt). Das ‚Totenschiff’ wirft seine Schatten auf das schwarze Schiff und die ‚Meuterei auf der Bounty’. Am besten hat mir Ryszard Kapuscinski gefallen – besonders viel habe ich dem Filmemacher Jans Rautenbach zu verdanken.

FRAGE:
Für wie verläßlich halten Sie Ihre Quellen?

ANTWORT:
Offenbar hat jeder der Beteiligten einen anderen Film gesehen. Barry glaubt beispielsweise, dass Elise in Wirklichkeit ermordet wurde. Am meisten gehen die Meinungen über Momo auseinander. Die einen glauben, dass er für den südafrikanischen Geheimdienst tätig war und die Aufgabe hatte, die Aktion von innen her zu zerstören. Andere wiederum glauben, dass er selbstzerstörerisch war, geistig verwirrt und medizinische Hilfe gebraucht hätte.

Vielleicht war er nur ein radikaler Vertreter der Rastafari und der Black Supremacy. Oder es war eine Art Diebstahl, der ihm sogar nahe gelegt wurde, weil es immer hieß: the ship belongs to the people. Da hat er sich eben gesagt: das Volk bin ich. Vielleicht stimmt alles gleichzeitig. Ich habe jedenfalls versucht, so wenig wie möglich zu werten; ja, sogar darauf zu achten, dass Momo nicht allzu schlecht weg kommt.

FRAGE:
Afrika ist für Sie Recherche gewesen. Welches Verhältnis haben Sie zum Kontinent gewonnen?

ANTWORT:
Meiner Tochter habe ich versucht, das so zu erklären: Man hat mehr Angst als hier – vor Krankheiten, Tieren. Das Essen schmeckt schlecht. Das Wetter ist eine Zumutung. Und dann diese Armut! Aber es gibt auch einen unglaublichen Reichtum; das Wetter ist viel besser, das Essen schmeckt wunderbar, und man freut sich viel mehr. Man fürchtet die Leute mehr, aber mag sie auch lieber.
FRAGE:
Protokoll der 70er Jahre, sagen Sie. Ich war damals ein (kleines) Kind. War das eine schreckliche Zeit?

ANTWORT:
Nun ja, die Zeiten sind immer schrecklich. Die Zeiten sind aber auch immer gut. Man ist allerdings nur einmal jung.

FRAGE:
RAF, 68, Friedensbewegung, erste Grüne, Operation Namibia.
Wo sind die Zusammenhänge?
Wo werden sie augenfällig?

ANTWORT:
Im Rückblick erscheint das oft alles als zusammengehörig. War es aber nicht.  68 – nein, eigentlich nicht. Auch ich gelte manchmal als ein 68er, aber da war ich erst siebzehn und hatte weder eine Freundin noch einen Führerschein.  Wie sollte ich mich da groß an der Revolution beteiligen? Erste Grüne und Friedensbewegung (die allerdings erst später so richtig in Erscheinung trat) passt schon besser. Die beteiligten Engländer kennen sich von der Uni.

FRAGE:
Die Figur Rafi ist anders als die anderen Figuren. Er hat oft den „apolitical blues“, er ist ein Exotist (vielleicht), er denkt in (Medien-) Bildern. Gehört er überhaupt zu der Generation der ON-Aktivisten?

Er kämpft immer darum, anerkannt zu werden. Dann wiederum bezeichnet er das Schiff als sein Zuhause, auch wenn ein richtiges Zuhause ein Ort sein sollte, an dem man nicht darum kämpfen muss, anerkannt zu werden. Dass er so wenig von politischen Dingen weiß, kann man schon entschuldigen: Er war ja nicht bei den Vorbereitungen dabei.  Und wer weiß schon, dass die Befreiungsbewegung in Angola von drei Dichtern gegründet wurde?

FRAGE:
Die Songs: Welche Rolle spielen sie? Welche Art Pop ist das? Ist das Pop überhaupt?

ANTWORT:
Pop – jawohl. Also nicht nur Musik für eine Szene. Keine Musik zur Abgrenzung, sondern für general audience. Gruppen wie die Beatles hatten aus dem muffigen Rock’n’Roll aus Gewölbekellern eine Popkultur für die ganze Familie gemacht. Die Musik wurde die lingua franca. Man kann gut zum Lesen eine CD laufen lassen. Musik ist fast so etwas wie die Religion von heute. Bei Reggae ist das klar. Auch bei den Songs „with meaning“.

FRAGE:
Haben Sie sich Sorgen gemacht darüber, dass gerade Momo, der Schwarze, und Elise, die Frau, die sind, die das Projekt endgültig korrumpieren? PC ist das ja gerade nicht.

ANTWORT:
Meine Mutter hat sich schon Sorgen gemacht: „Junge, das kannst du doch nicht machen. Das Buch hat doch keine Lobby.“ Andere, denen PC länger auf die Nerven geht, haben die Hände gerieben: „Na, endlich: der Neger und die Frau setzen alles in den Sand!“adss50_fragen
Es heißt übrigens wirklich „Neger“ in Westafrika (das hat mit dem Fluß Niger zu tun, und wird im Buch von der ‚Négritude’ von Léopold Senghor beschworen, auch Heile Selassi hatte den Ehrentitel „negus negesti – Neger aller Neger“). Dennoch. Ich habe auf das Rechthaben verzichtet und den Begriff „Neger“ gemieden.

adss51_fragenYoko Ono meinte ja, dass PC die Fortsetzung von dem ist, was John Lennon (und sie natürlich) mit ihren Aktionen eingeleitet haben. Gleichzeitig hat sie eine gewisse Humorlosigkeit beklagt und konnte sich letztlich doch nicht zu PC bekennen. Wenn PC nun so weit geht, dass man nicht mehr schreiben darf, wie es wirklich war, dann ist es eine neue Form von Zensur. Dann kriegen wir es wieder mit Leuten zu tun wie den Helden vom Bücherprojekt.

FRAGE:
Halten Sie Ihre Protagonisten für Egomanen?

ANTWORT:
adss52_fragenEgoistisch durfte man damals auf keinem Fall sein. Man sollte Kämpfer für die gute Sache sein und sich notfalls aufopfern. Meine Protagonisten waren dann auch eher Märtyrer. Roy hat sogar mal gesagt, dass sie damals eifrig um die Wette gemärtyrert haben. Aber so etwas konnte er auch erst im Rückblick sagen.

Damals haben die politisch Aktiven sich gegenseitig stark unter Druck gesetzt und jeweils den anderen vorgeworfen, dass sie bloß Identitätspolitik betrieben, dass es ihnen also mehr um die eigene Identität ginge (dass sie sich moralisch gut fühlen können), als um das, was wirklich „politisch relevant“ war. Aber auch Märtyrer können ganz schön egoistisch sein. Bei George Harrison heißt es: „even those tears: I, me, mine!“

FRAGE:
Sind die Bücher an Bord der GH wirklich Sprengstoff? Oder vielleicht Manifestation von Hilflosigkeit? Dokumente der Selbstüberschätzung gar?

ANTWORT:
adss53_fragenDie Frage reiche ich gleich weiter an diejenigen, die diese Zensur eingeführt haben und den Besitz bestimmter Bücher mit fünf Jahren Gefängnis bestraften. Beispielsweise Bücher von Hemingway (weil so etwas nicht zu dem offiziellen Menschenbild paßte) oder ein Buch wie ‚Black Beauty‘ (allein wegen des Titels. In Wirklichkeit ist es ein Buch über ein Pferd). So waren es sogar die Zensoren selber, die zur Aufwertung des Buches beitrugen.

adss54_fragenBücher galten allgemein als die Form, in der das so genannte Herrschaftswissen transportiert werden konnte. Es war auch die Zeit der politischen Buchläden, die in England landesweit Bücher für das Projekt gesammelt hatten. Es klingt gewaltig, es so zu sagen, aber: Das Bücherprojekt der Operation Namibia war eines der letzten großen Auftritte in der Geschichte des Buches. Heute sieht das anders aus. Aber etwas hilflos wirkt meine Mannschaft schon. Ich denke aber, dass der Eindruck vor allem dadurch entsteht, dass sie sich dem passivem Widerstand und der Idee der Gewaltlosigkeit verpflichtet sahen.

FRAGE:
Diskursethik. Was fällt Ihnen dazu ein?

ANTWORT:adss55_fragen
Auf der Golden Harvest hieß das immer „consensus“. Oder auch „consensus descission making“, manchmal sogar „consensus descission making bullshit“. Dazu gab es ganze Kapitel, die der Kürzung zum Opfer fielen. Aber zum politischen Selbstverständnis der Helden damals gehört das Problem unbedingt dazu. Das Ideal vom consensus wurde stark strapaziert. Keiner durfte die anderen dominieren.

ANTWORT:
Es war auch nicht gerade leicht, einen consensus herzustellen. Es gab ein Büro in Philadelphia und eins in London. Dazu zwei Mannschaften auf zwei Schiffen, zu denen oft monatelang kein Kontakt bestand. Und an Bord wollte keiner Kapitän sein (bei der Gruppe ‚Amon Düll‘ wollte früher auch keiner Schlagzeuger sein, weil der sonst eine fragwürdige Machtposition innegehabt hätte).

FRAGE:
Und wenn der Erlkönig nichts anderes wäre, als die eigene gute Absicht: „Du liebes Kind, komm geh mit mir…“

ANTWORT:
Gute Absicht, oh ja! Aber auch Tat. Ich sagte ja schon, dass die Helden ihre Operation Namibia nicht gerade als Erfolg ansehen. Aber ist denn nicht all der „effort“, all die „love“ eine Form von Energie? Und gibt es nicht sogar ein Naturgesetz, nach dem Energie gar nicht verloren geht? Und hieße das nicht, dass es eigentlich keine vergebliche Liebesmüh gibt?

Ein weiterer Titelvorschlag war übrigens „Der Flügelschlag des Schmetterlings“; denn der Japaner an Bord glaubt, dass durch den Flügelschlag eines Schmetterlings auf der einen Seite der Welt ein ganzer Berg auf der anderen Seite der Welt zum Einsturz gebracht werden kann.

Fotos aus dem Nachlaß von Kris Wood Inhaltsverzeichnis Pressestimmen zum Buch

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