Ein „gefährlicher“ Witz hat dem „witzelnden Professor“ Tim Hunt seine Stellung gekosten. Harald Martenstein vergleicht in der ‚Zeit’ die hysterische Stimmung von heute, in der so ein Absturz möglich ist, mit der McCarthy-Ära, „als auf alles Linke eine Hexenjagd veranstaltet wurde und als jeder zum Kommunisten gestempelt wurde, der sich mit einem Buch von Bert Brecht erwischen ließ.“
Ich antworte mit Fanpost:
„Lieber Harald. Hoffentlich siehst du es mir nach, dass ich dich kumpelhaft anmache und duze. Ich bin ein großer Freund deiner Texte. Es ist schon vorgekommen, dass ich eine lachende Frauenstimme aus der Küche gehört habe und als ich dann nachfragte, was denn nun schon wieder los sei – dann war Harald Martenstein los.
Dein Text über Tim Hunt ist deshalb so stark, weil er so sachlich ist, so gründlich. Du bringst das umstrittene Zitat in voller Länge:
Wenn wir kleinlich wären, könnten wir nachfragen, ob es „heulen“ oder „weinen“ heißen muss und ob an dieser Stelle schon die Empfindlichkeiten anfangen, aber wir sind nicht kleinlich, und auf solche Feinheiten kommt es eh nicht an, denn …
Wie kann man das erklären? Wie kann man das verstehen?
„Du schlägst einen Vergleich vor. Das ist eine gute Idee. Denn daran zeigt sich, an welchen Stellen es Überschneidungen gibt und wo gewisse Unterschiede liegen.
Mich wundert es – ehrlich gesagt – nicht, dass niemand „Parallelen“ (Plural) gesehen hat, denn es gibt nur eine Parallele (Singular). Nur an einer Stelle ist ein Vergleich sinnvoll. Ich bin froh, dass du den in aller Deutlichkeit hervorhebst: Es wird in beiden Fällen mit äußerster Unbarmherzigkeit ein Klima der Angst geschaffen. Hier wirkt die alte Weisheit von Mao Zedong: Bestrafe einen, erziehe hundert.
Sonst sehe ich keine Parallelen. Aber große Unterschiede. Zunächst einmal handelt es sich um zwei grundsätzlich verschiedene Sorten von Witzen (wer wüsste das nicht besser als du?): Das eine ist Satire, das andere ist Humor.
Witz und Witz ist nicht dasselbe
„Satire greift an, Satire ist grob, Satire ist kämpferisch, Satire will verletzten, provozieren, erniedrigen; Satire stellt sich künstlich dumm und tut so, als hätte sie kein Verständnis; Satire meint, dass sie keine Grenzen beachten müsse und grundsätzlich alles dürfe, weil Kurt Tucholsky es erlaubt hat.
Der Humorist dagegen bezieht sich selbst mit ein. Wenn ein Humorist lacht, dann lacht er nicht nur über andere, sondern immer auch über sich selbst. Während man über einen Satiriker sprichwörtlich sagt, dass er Pfeile abschießt, so versucht ein Humorist, ein gutes Ende im Lachen zu finden, das den anderen gelten lässt.
Die beiden Witze unterscheiden sich damit auch in ihrem Gegenstand; denn es ist sehr wohl ein Unterschied, ob ich einen Witz über Mohamed mache oder über mich selbst. Wer ist das Monster? Bin ich es oder ist es der andere?
Wenn wir die beiden Witze vergleichen, merken wir schnell, dass es gar keine sind. Nun kenne ich die Cartoons von ‚Charlie Hebdo’ nicht aus eigener Anschauung und muss bei meinem Urteil einem Feingeist wie Michael Klonovsky vertrauen. Ich vermute, dass sich die Macher des Blattes darin gefielen, mit dem Feuer der kalkulierten Geschmacklosigkeiten zu spielen. Sie wussten sehr wohl, dass ihre Bilder vom Propheten kein gutes Haar an ihm ließen.
Ganz anders bei Tim Hunt. Er hebt die guten Haare der Frauen ausdrücklich hervor und streichelt sie. Im Vertrauen – unter uns Humoristen: Er ist sicher ein ausgezeichneter Forscher, aber kein guter Witzerzähler. Seine Bemerkung ist überhaupt nicht witzig. Sie ist ein verdruckstes Kompliment, eingerahmt in eine kokett-ironische Selbstbezichtigung, die man durchaus als misslungen ansehen, aber auch charmant finden kann. Früher haben wir uns in so einem Fall im Kreis aufgestellt und gemeinsam ausgerufen: „Witz komm raus, du bist umzingelt!“ Es kam keiner.
Um welches Heiligtum geht es eigentlich?
Was ist das „Unantastbare“, über das man, wie du schreibst, keine Scherze machen darf? Beim Islam ist mir das klar. Das verstehe ich. Das respektiere ich. Aber beim Feminismus? Welche heilige Kuh hat Tim Hunt geschlachtet? Ich sehe da keine Kuh. Vermutlich ist er sowieso Vegetarier und schlachtet grundsätzlich keine Kühe. Für mich klingt er wie jemand, der sich redlich bemüht, dem Feminismus nach dem Mund zu reden.
Die Frauen sagen es selber: Ihre große Emotionalität sehen sie als besonderen Wert und sie sind es auch, die Arbeitsplätze fordern, die nach Geschlechtern getrennt werden (was Tim Hunt nicht getan hat). Eine Gleichstellungsbeauftragte hätte es womöglich so formuliert – und ernst gemeint: „Immer noch werden Frauen am Arbeitsplatz belästigt und ins Abseits gedrängt. Das muss sich ändern. Männer sind emotional verkrüppelt und können mit den Gefühlen der Frauen nicht umgehen. Deshalb brauchen wir einen permanenten Girls’ Day, damit Frauen die Möglichkeit haben, ohne die schädliche Gesellschaft von Männern die Berufswelt zu erobern und neu zu gestalten.“
Was hat Tim Hunt falsch gemacht? Das vernichtende Urteil, das über Tim Hunt gefällt wurde, lautet – das hast du ganz richtig dargestellt – Sexismus! Sexismus muss etwas ganz Schlimmes sein, etwas ganz, ganz Schlimmes. Was aber ist Sexismus?“
In Nürnberg weiß man, was Sexismus ist
„Eine Antwort finden wir in Nürnberg, der „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“. In ihrem Internetauftritt präsentiert die Stadt eine Studie „gegen Rechtsextremismus“ aus dem Jahre 2011, die von der Friedrich Ebert Stiftung erstellt wurde. Darin geht es um Intoleranz, um Vorurteile, um Diskriminierung, um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, um die „Abwertung der Anderen“.
Und um Sexismus: „Eine wesentliche Kategorie, auf der Vorurteile und Stereotypen im Alltag basieren, ist das Geschlecht. Die mangelnde Gleichstellung von Männer(n) und Frauen in allen Bereichen des Lebens ist ein anhaltendes Thema, denn Frauen sind strukturell noch immer massiv benachteiligt.“
So ist das. Wer etwas einwenden will, übersieht etwas Wichtiges: „Strukturelle Chancenungleichheiten und Diskriminierungen werden dabei übersehen oder verleugnet, beispielsweise bei der Ablehnung von speziellen Frauenquoten mit dem Verweis darauf, dass sich individuelle Leistung durchsetze. Übersehen wird dabei, dass die entscheidenden Strukturen aber von Männern gemacht sind, an den Bedürfnissen von Männern orientiert sind und von Männern dominiert werden.“
Lassen wir die Frage beiseite, ob wir dem zustimmen oder nicht. Für die Wissenschaftler, die diese Studie besorgt haben, stellte sich das Problem, wie man Sexismus nachweisen und in Zahlen ausdrücken kann. Das haben sie folgendermaßen gelöst: Sie haben die Zustimmung zu folgenden Aussagen abgefragt:
Frauen sollten ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ernster nehmen.
Wenn Arbeitsplätze knapp sind, sollten Männer mehr Recht auf eine Arbeit haben als Frauen.
So macht man das. So kommen Ergebnisse zustande, die man in Zahlen ausdrücken kann. Eine große Zustimmung zu den Sätzen zeigt, dass im hohen Ausmaß Sexismus vorhanden ist. Ich wüsste schon – weil ich den Braten rieche –, wie ich die Sätze bewerten müsste, wenn ich mich vom Vorwurf des Sexismus reinwaschen wollte, aber ein wenig verwirrt bin ich doch. Wann wurde eigentlich das „Recht auf eine Arbeit“ eingeführt? Da muss ich gerade im Urlaub gewesen sein. Wie auch immer. Ich glaube, wir sind uns einig: Dies ist natürlich eine gaaanz andere Art von Wissenschaft als die, die Tim Hunt betrieben und für die er den Nobelpreis erhalten hat.“
Mit dem Dirndl zur Arbeit. Geht das?
„Immerhin wird damit etwas deutlich, das womöglich den ein oder anderen überrascht – oder die eine oder die andere oder all die, die nicht wissen, ob sie zu den einen oder zu den anderen gehören. Man kann auch in unserem Alter immer noch Überraschungen erleben.
Viele stellen sich womöglich etwas Falsches vor, wenn sie das böse Wort „Sexismus“ hören. Sie stellen sich vor, dass damit ein Verhalten von Männern gemeint ist, die nicht richtig auf den Sexappeal von Frauen reagieren (Dirndl, Tanzkarte, Aufschrei, Alltagssexismus … oder: Busengrapschen, Blondinenwitze …), dass es also irgendwie etwas mit der körperlichen Attraktivität von Frauen zu tun hat, die auch als „erotisches Kapital“ bezeichnet wird.
Aber da ist noch mehr. Da ist noch etwas anderes: Der Sexismus, um den es hier geht, wird durch die Frage definiert, wie die Bedeutung der Frauen für die Arbeitswelt gesehen wird: Ein Sexist ist demnach jemand, der einer Politik nicht zustimmen mag, die Frauen verstärkt aus der Familie heraus- und in die Arbeitswelt hineindrücken will.
So passt es halbwegs zu Tim Hunt. So kann man ihn auch gut von Rainer Brüderle unterscheiden, der ebenfalls als Sexist gilt, wenn auch irgendwie auf andere Art. Bei ihm gab es auch ein echtes „Opfer“ (wenn wir es so sehen wollen), das unter ihm leiden musste, eine Journalistin vom ‚stern’. Wie war das bei Tim Hunt?
Anders. Kein Opfer in Sicht. Tim Hunt hat keiner Frau etwas angetan, seine Feindlichkeit, die man ihm unterstellt, ist eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, sie richtete sich nicht gegen eine real existierende Frau, sondern gegen die Frauen als Gruppe. Deshalb ist auch eine Entschuldigung oder eine Wiedergutmachung nicht möglich: Bei wem sollte er sich entschuldigen? Bei „den“ Frauen? Wo sollte eine Wiedergutmachung ansetzen? Er hat nichts Schlechtes gemacht. Tim Hunt ist ein Wohltäter. Den Frauen als Gruppe hat er mit seiner Forschung geholfen und hat, wie du sagst, damit womöglich der ein oder anderen aus der Krankheit herausgeholfen.
Immerhin: Wir haben nun verstanden, dass wir Sexismus nicht nur an einer Meinung zum Busen im Dirndl, sondern auch an einer Meinung zur Frau in der Arbeitswelt erkennen – das Wichtigste haben wir damit immer noch nicht kapiert. Wir stehen aber kurz davor. Wir müssen uns nicht nur fragen, was Sexismus ist, sondern vielmehr, wer die Sexisten sind.“
Nicht was, sondern wer
„Man handelt sich den Vorwurf, ein Sexist zu sein, nicht dadurch ein, dass man etwas sagt, das man besser nicht sagen sollte, sondern dadurch, dass man ein Mann ist, egal was man gesagt und wie man es gemeint hat. Um in dem Bild zu bleiben, das du verwendet hast: Tim Hunt wurde nicht etwa mit einem Taschenbuch von Bertolt Brecht erwischt, sondern mit einem Taschenbuch von Simon de Beauvoir.
Wir ahnten es schon, als ich mir die Gleichstellungsbeauftragte ausgedacht und ihr einen fiktiven Text untergejubelt habe. Da hatte sich gezeigt, dass es gar nicht darauf ankommt, was jemand sagt. Es kommt einzig und allein darauf an, wer dieser jemand ist. Hier findet die berüchtigte Wer-Was-Verwechslung statt, die eine menschenfeindliche, intolerante Grundstimmung kennzeichnet.
Das zeigt auch die erwähnte Studie, die man auf der Internetseite der Stadt Nürnberg nachlesen kann. Ich bin sicher, dass sie das nicht zeigen wollte. Sie zeigt es aber. Selber schuld. Das haben sie nun davon. Warum machen sie solche fragwürdigen Studien?! Wir erinnern uns? Ob man Sexist ist oder nicht, sollte sich am Umgang mit den beiden Testfragen offenbaren. Was ist dabei herausgekommen? Oh weh, es gibt es Sexismus. Es wäre auch erstaunlich gewesen, wenn herausgekommen wäre, dass es keinen gibt. Doch nun kommt die spannende Frage: Wer ist sexistisch? Was sind das für Leute? Die Antwort: Frauen sind es. Frauen sind sexistisch. Mehr als Männer.
Das heißt: wenn man auf der Basis dieser Definition von Sexismus, die durchaus einen gewissen offiziellen Rang beanspruchen kann, einen Mann als „Sexisten“ bezeichnet, dann bezeichnet man damit einen Mann, der die Mehrheitsmeinung der Frauen vertritt.
Das darf er nicht. Wehe! Wenn er es dennoch tut, kann es ihn (beruflich) vernichten. Warum? Weil er ein Mann ist. Darum! Frauen können sexistisch sein, soviel sie wollen. Aber: Wenn jemand aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (die er sich nicht ausgesucht hat und die er auch nicht ändern kann) verurteilt wird, dann ist das – bitte tief Luft holen vor dem Aufschreien – … hhh, hhh, hhh, … dann ist das: Rassismus. Dann ist das gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Dann ist das der wahre Sexismus von heute – der gefährliche Sexismus. Er ist nur für Männer gefährlich. Ein Mann kann jederzeit durch einen unbegründeten Sexismus-Vorwurf zugrunde gerichtet und Opfer eines Shitstorms (Steinigung in digitaler Dosis) werden.
Nicht Tim Hunt ist Sexist. Seine Peiniger und Steiniger sind Sexisten. Da es sich um Frauen handelt, kann man auch sagen: seine Peinigerinnen und Steinigerinnen. Sie verurteilen ihn nicht etwa für eine schreckliche Tat, nicht dafür, dass er als Person etwas Unverzeihliches getan hätte, sondern dafür, dass er einer Gruppe – der Gruppe „der“ Männer – angehört, gegen die sich ihre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit richtet, die sie als die mächtigen Sexistinnen von heute genüsslich und hemmungslos exekutieren. Weil sie es können. Weil sie es dürfen.“
Wo sind sie alle?
„Nun kommt der Punkt, an dem sich der Fall Tim Hunt krass vom Fall ‚Charlie Hebdo’ unterscheidet. Hier gibt es keine Parallele. Im Gegenteil. Ich frage mich: Wo sind die Schriftstellerinnen, die SchriftstellerInnen, die Schriftsteller_innen, die Schriftsteller*innen … wo sind die Journalistinnen, JournalistInnen, Journalist_innen, Journalist*innen und all diejenigInnen, die schon durch ihre aufdringliche Selbstbezeichnungen deutlich machen, wie wichtig ihnen ihre Sensibilität für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist? Wo sind sie? Was sagen sie dazu? Was sagen die Feministen?
Wo sind (abgesehen von uns beiden) die Schriftsteller und Journalisten, die fürchten müssen, dass sie in Zukunft nur noch unaufrichtige und verkniffen angepasste Texte schreiben können? Wo sind die aufrechten Politiker, die seriösen Wissenschaftler, die publikumswirksamen Bedenkenträger, die mutigen Verteidiger von Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit, die sich europaweit zu eindrucksvollen Massenveranstaltungen zusammenfinden? Wo sind die geänderten Profilbilder auf facebook? Wo kann man T-Shirts mit der Inschrift „I am Tim“ kaufen? Wo bleibt der Aufstand der Anständigen?
Man könnte sich doch mit einem ausgezeichneten Wissenschaftler und Hobby-Humoristen, dessen Scherz wir nun genau kennen, viel eher solidarisch erklären als mit Zeichnern von Cartoons, die viele von denen, die sich spontan „Je suis Charlie“ auf den Oberarm tätowieren ließen, nicht kannten. Es geht schließlich prinzipiell um dieselbe Sache! Oder – sagen wir – um eine vergleichbare Sache. Insofern ist dein Blick auf die Parallelen, über die ich anfangs ein wenig gemeckert habe, richtig und wichtig.“
Die Fische können nichts dafür
„Nun kommt ein Punkt, an dem ich widersprechen möchte – oder anders gesagt: Es kommt ein Punkt, den ich ausführen will. Du schreibst, dass nicht „der“ Feminismus der Akteur war, sondern eine radikale Gruppe. Damit entschuldigst du „den“ Feminismus. Der war’s also nicht. Man kann sich auch schlecht vorstellen, dass „der“ Feminismus, den du zu recht in Anführungsstrichen auftreten lässt, ein Akteur ist.
Aber wenn es nicht „der“ Feminismus war, wer dann? Wo ist hier die radikale Gruppe? Sehen wir uns die Akteure näher an. Da sehen wir eine feministische Journalistin, die vorsätzlich falsch von dem Vortrag berichtet und damit einen Shitstorm ausgelöst hat (sie meldete, dass der Bemerkung von Tim Hunt eisiges Schweigen folgte. Tonaufnahmen von dem herzlichen Applaus wurden erst bekannt, als es zu spät war). Da sehen wir feministische Steinigerinnen, die innerhalb kürzester Zeit einen Shitstorm lostreten konnten. Dann sehen wir die feministische Leitung der Universität, die vorschnell, ohne Tim Hunt eine Chance zu geben und ohne den Fall richtig zu kennen, mit einem Rauswurf reagierte. Dann sehen wir die von dir erwähnte feministische Abgeordnete, die den Bürgermeister von London (einen Mann), der Tim Hunt verteidigen wollte, zurechtwies und ihm Rechtsverletzung vorwarf.
Was wird getan? Es wird eine falsche Beschuldigung in die Welt gesetzt. Das ist nicht ungewöhnlich. Das passiert ständig. Der ach-so-privilegierte alte, weiße Mann ist sowieso im Moment die beliebteste Adresse für Schuldzuweisungen im großen Stil. Da wird es dann schon keinen Falschen treffen. Dann wird noch etwas von den vielen, kleinen Scheißestürmerinnen beigetragen, immer nur ein bisschen was, es wird nur ein klitzekleiner Kieselstein geworfen. Dann wird unterlassen. Es wird etwas nicht getan. Tim Hunt wird nicht weiter beschäftigt. Seine Entlassung wird nicht begründet. Ihm wird nicht mehr zugehört. Die meisten Akteure in dem Fall sind Nicht-Akteure. Das gilt auch für alle, die fassungslos zuschauen – und nichts tun.
Wer tut denn etwas? Es ist in unserem Fall keine radikale Gruppe, die etwas Verbrecherisches getan hat. Wir haben es mit einem Schwarm zu tun, der unbeirrt mit dem Strom treibt. In ihm schwimmen viele kleine Fische mit, die gar nicht zu großen Verbrechen in der Lage sind. Einige davon sind niederträchtig, viele sind nur dumm. Sind sie radikal? Im Einzelfall sind sie es nicht. Sie wirken aber in ihrer Gesamtheit. Jede einzelne Mitschwimmerin ist der Meinung, dass sie eigentlich nichts täte. Oder bestenfalls ein bisschen was tut. Doch jede einzelne tut es in dem Wissen, dass die kleinen Unterlassungen und die vielen kleinen Kieselsteine verheerende Folgen haben (sonst bringt ein Shitstorm keine Befriedigung, die bringt er nur, wenn er mit Macht und Verantwortungslosigkeit verbunden ist).
So bleibt zum Schluss die berühmte Frage eines Krimilesers: Wer war es? Ist der Täter endlich überführt? Ja. Der Akteur ist der Feminismus in seiner Gestalt als sexistisch-rassistische furchterregende Medusa.
Der Erfinder des Dreiwortsatzes „Je suis Charlie“ hatte damals erklärt, dass eine der Bedeutungen dieses Slogans sein sollte: „Ich habe keine Angst“. Ich habe den Eindruck, dass wir Angst haben.
Herzliche Grüße
Bernhard“